Was tue ich?

Ich darf, beginnend vom 01.09.2014 elf Monate lang an der Visions of Hope Christian School “Rose of Sharon” auf den Philippinen ein Freiwilliges Soziales Jahr machen.
Die Kinder, die ich dort unterrichten und lieb haben darf, sind ehemalige Straßenkinder im Alter von drei bis sechzeh Jahren.
Als eine von insgesamt 17 Freiwilligen, die ADRA live dieses Jahr in verschiedene Länder entsendet, habe ich nun die Möglichkeit, von meinem Überfluss abzugeben und durch meine Zeit und meine Kraft das Projek zu unterstützen und mitzuhelfen, dass Menschen wieder hoffen können.

Freitag, 17. April 2015

Time to say goodbye...

 Gerade habe ich mich gemuetlich auf meinem Bett installiert und die Spannung des Tages mit Strecken und Gaehnen abgelegt, als ich draussen, vor der Mensa einen Van hoere.
Die Lichterkette, die unsere Abendbeleuchtung ist, da die haesslichen Energiesparlampen ein gruftaehnliches Licht in unserem Zimmer verteilen und zu guter Laune auch gutes Licht gehoert, schimmert schoen durch unsere Vorhaenge und taucht alles in ein wohlig warmes Einschlafschummern. Ein Van ist nichts Ungewoehnliches hier, zur Zeit fahren staendig Visitiors herein, Wasserkanister hinaus, Bauteile herum und manchmal auch Menschen umher. Aber heute abend ist es anders. Es liegt eine Spannung in der Luft. Irgendetwas laesst uns aufhorchen. Irgendetwas macht uns wieder wach. Es ist Bewegung auf dem Gelaende: Kinder rennen zu so spaeter Stunde noch herum, im Dorm brennt noch in allen Saelen Licht und die Tueren selbigen stehen sperrangelweit offen.
Ich trete ans Fenster und sehe hinaus. Taschen werden hin- und hergeschleppt, Rucksaecke und Tueten.
Dann daemmert es uns: Heute ist der grosse Tag! Heute duerfen endlich unsere kleinen Ganoven nach Magdalena umziehen. Resty hatte mir schon tagelang erzaehlt, dass er ja jetzt gross ist und dass er sich so freut, auf den anderen Campus zu kommen. MJ war beim Abendenssen schon mit Rucksack erschienen und hatte stolz verkuendet, dass es jetzt jeden Moment losginge. Und John Paul grinste die ganze Woche schon, wie einer, der weiss, dass alles anders wird und sich darauf freut.

Wenn unsere kleinen Jungs- der juengste ist zur Zeit zwei Jahre- das stolze Alter von neun erreichen, duerfen sie eines schoenen Tages auf den Jungencampus "Magdalena" umziehen. Dort haben sie grosse Brueder, Helden, Ersatzpapas, und vor allem viele andere Jungs zum Spielen, rumgaunern und Spinnen (Lizards, Voegel, Froesche, Schildkroeten, Huehner...) fangen und muessen nicht mehr, wie Gino, als einziger Junge in meiner ersten Klasse, den ganzen Tag von ueberwaeltigend vielen Maedchen umgeben sein.
Einige, wie Resty, der hier unter der Fuchtel seiner grossen Schwester steht, freuen sich darauf. Andere, druecken sich Jahr um Jahr davor...und werden nur mit viel Geschrei und Widerwillen umgesiedelt.

Und heute abend ist es also so weit. Als wir das begriffen haben, kommt Bewegung in unser Freiwilligenzimmer. Ich stuerze in richtung meines Schachtelregales, um meine Glasmurmeln zu suchen. Kurze Zeit spaeter spurten wir zwei ueber die Wiese, um unseren geliebten Kindern noch Tschuess zu sagen. Als wir am Auto ankommen, bietet sich uns ein interessantes Bild. Taschen und Plastiktueten sind an die Hauswand gestapelt, zusammen mit Teddybaeren, und anderem Krimskrams. MJ, Resty und John Paul sind schon da. Ihr Gepaeck geschultert stehen sie da und ihr Blick scheint Anklage zu erheben, gegen jene, die noch immer nicht eingetroffen sind. Sie sind bereit, sie wollen gehen. Am liebsten gestern. Dann teilt sich die herumwuselnde Kinderschar und ein Bild des Jammers bietet sich. JB wird von Stella, einer unserer "Ersatzmamies" durch das Meer an kleinen Maedchen getragen. Er schluchzt und jammert und die Traenen laufen ihm herab, was sein kaputtes Auge noch roter erscheinen laesst. So wird er ins Auto gepackt und bleibt leise weinend sitzen. Der naechste im Bunde ist Jeymar, unser kleiner Wilder, der schon fuenf Jahre in der Preschool rumgammelt und keinerlei Ambitionen hat, jemals etwas anderes zu tun, als die Tomaten in unserem Gemuesegarten abzureissen, wenn sie noch gruen sind. Obwohl er wahnsinnig kreativ ist und wunderschoen zeichnet und malt. Sie werden im Van verstaut und ihr Gepaeck mit ihnen. Pro Kind ist jeweils eine Mama dabei, die mitfaehrt, um ihnen zu helfen. Den Rueckweg werden sie allein antreten, die Mamies, und das wissen sie ganz genau.
Die Stimmung schwankt zwischen Vorfreude, Spannung, Traurigkeit und blanker Angst.
Die anderen Kinder stehen um die Heckklappe des Vans herum und sehen hinein. Ein paar der frechen Maedels machen das Weinen von JB nach. Wir treten an die Oeffnung, Miriam und ich, und sehen sie nocheinmal an. Unsere Jungs. Wir druecken jedem drei Murmeln in die kleine, verschwitzte Hand. Sie werden sie brauchen, das wissen wir. Jedes Mal, wenn wir dort sind, bekommen wir ein bisschen mehr von der Rangordnung,  den Gewohnheiten und dem komplizierten Geflecht aus ungeschriebenen Regeln mit, die dort herrschen. Die kleinen und mittleren Jungs haben eben dieses Glasmurmelspiel, bei dem sie, aehnlich wie beim Boccia um die getroffenen Murmeln spielen. Die mittleren Jungs messen sich im Daumencatchen und die grossen Spielen Schach. Unser kleines Abschiesgeschenk, mit dem sie jetzt vielleicht noch nicht so viel anzufangen wissen, ist eine Art Startkapital. Damit sie nicht von Null anfangen muessen.
MJ sieht mich einen Moment an, als ich ihm die Murmel geben will, dann erhellt sich sein kluges Gesicht und er greift zu. Er weiss, wozu sie gut sind. Und ich bin sicher, er wird Murmelkoenig.
John Paul werden sie weitergereicht und er, ganz in seiner Beobachterposition, steckt sie erstmal ein. Vielleicht erschliesst sich ihm deren Sinn ja spaeter noch, so scheint er zu denken.
Resty ist so von seiner ueberschwaenglichen Vorfreude gefesselt, dass er sie einfach beilaeufig einsteckt. Er muss jetzt losmachen, er muss jetzt gehen, egal, was kommt.
JB haelt sich an den glaenzenden Kugeln fest, wie an einem Schatz. Er wird bestimmt ein guter Spieler. Jeymar versucht sich gleich alle zu krallen und MJ weist ihn zurecht. Er wird nochmal anecken dort drueben, wo es eine feste Rangfolge gibt, die kein Pardon kennt.

Ploetzlich hoert man ein erneutes Weinen und Genelou, eine unserer groessten Maedchen, traegt einen heulenden Gino durch die Menge. Er strampelt und weint und schreit und sein Gesicht sieht so aus, als taete er das nicht erst seit ein paar Minuten. Mein lieber Gino, der so oft ein Sonnenstrahl ist, der so schlau und so unmotiviert ist, der der beste in meiner Baking Class ist und so herzerwaermend grinsen kann...er soll jetzt gehen? Einfach so? Es ist ein trauriger Abend.
Aber ich freue mich, fuer die, die sich freuen. Und hoffe, dass sie meine Murmeln weise nutzen.

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