Was tue ich?

Ich darf, beginnend vom 01.09.2014 elf Monate lang an der Visions of Hope Christian School “Rose of Sharon” auf den Philippinen ein Freiwilliges Soziales Jahr machen.
Die Kinder, die ich dort unterrichten und lieb haben darf, sind ehemalige Straßenkinder im Alter von drei bis sechzeh Jahren.
Als eine von insgesamt 17 Freiwilligen, die ADRA live dieses Jahr in verschiedene Länder entsendet, habe ich nun die Möglichkeit, von meinem Überfluss abzugeben und durch meine Zeit und meine Kraft das Projek zu unterstützen und mitzuhelfen, dass Menschen wieder hoffen können.

Dienstag, 7. Juli 2015

Wie inzwischen deutlich geworden sein sollte, habe ich es nicht geschafft, meinen Blog aufrecht zu erhalten. Das liegt ganz einfach daran, dass ich kein Internet mehr auf dem Campus habe, und jedes Mal, wenn es mich in meiner Pampa doch einmal nach den heimischen Gesichtern und Nachrichten verlangt, nur im Internetcafe der naechstgroesseren Stadt mit der grossen weiten Welt Rauchzeichen austauschen kann.
Es tut mir herzlich leid.

Aber ich kann sagen, dass ich das ganze Jahr ueber, schriftlich, auf Papier, an einer Sache gearbeitet habe, was einem Blogersatz doch recht nahe kommt. 
Ich werde daueber auf dem Laufenden halten, wen immer es wirklich interessiert. 

Jetzt kann ich erstmal nur sagen, dass ich in 23 Tagen wieder zu Hause sein werde, was auch immer das fuer ein Ort geworden ist. Ich freue mich ueber jeden, der mich am Flughafen begruessen moechte und noch mehr ueber den, der warten wird, was fuer Geschichten ich noch zu erzaehlen habe. Vielleicht nicht am 31.07., vielleicht nicht nach drei Tagen, aber irgendwann bestimmt. 

Ich freue mich darauf. :-)

Freitag, 17. April 2015

Time to say goodbye...

 Gerade habe ich mich gemuetlich auf meinem Bett installiert und die Spannung des Tages mit Strecken und Gaehnen abgelegt, als ich draussen, vor der Mensa einen Van hoere.
Die Lichterkette, die unsere Abendbeleuchtung ist, da die haesslichen Energiesparlampen ein gruftaehnliches Licht in unserem Zimmer verteilen und zu guter Laune auch gutes Licht gehoert, schimmert schoen durch unsere Vorhaenge und taucht alles in ein wohlig warmes Einschlafschummern. Ein Van ist nichts Ungewoehnliches hier, zur Zeit fahren staendig Visitiors herein, Wasserkanister hinaus, Bauteile herum und manchmal auch Menschen umher. Aber heute abend ist es anders. Es liegt eine Spannung in der Luft. Irgendetwas laesst uns aufhorchen. Irgendetwas macht uns wieder wach. Es ist Bewegung auf dem Gelaende: Kinder rennen zu so spaeter Stunde noch herum, im Dorm brennt noch in allen Saelen Licht und die Tueren selbigen stehen sperrangelweit offen.
Ich trete ans Fenster und sehe hinaus. Taschen werden hin- und hergeschleppt, Rucksaecke und Tueten.
Dann daemmert es uns: Heute ist der grosse Tag! Heute duerfen endlich unsere kleinen Ganoven nach Magdalena umziehen. Resty hatte mir schon tagelang erzaehlt, dass er ja jetzt gross ist und dass er sich so freut, auf den anderen Campus zu kommen. MJ war beim Abendenssen schon mit Rucksack erschienen und hatte stolz verkuendet, dass es jetzt jeden Moment losginge. Und John Paul grinste die ganze Woche schon, wie einer, der weiss, dass alles anders wird und sich darauf freut.

Wenn unsere kleinen Jungs- der juengste ist zur Zeit zwei Jahre- das stolze Alter von neun erreichen, duerfen sie eines schoenen Tages auf den Jungencampus "Magdalena" umziehen. Dort haben sie grosse Brueder, Helden, Ersatzpapas, und vor allem viele andere Jungs zum Spielen, rumgaunern und Spinnen (Lizards, Voegel, Froesche, Schildkroeten, Huehner...) fangen und muessen nicht mehr, wie Gino, als einziger Junge in meiner ersten Klasse, den ganzen Tag von ueberwaeltigend vielen Maedchen umgeben sein.
Einige, wie Resty, der hier unter der Fuchtel seiner grossen Schwester steht, freuen sich darauf. Andere, druecken sich Jahr um Jahr davor...und werden nur mit viel Geschrei und Widerwillen umgesiedelt.

Und heute abend ist es also so weit. Als wir das begriffen haben, kommt Bewegung in unser Freiwilligenzimmer. Ich stuerze in richtung meines Schachtelregales, um meine Glasmurmeln zu suchen. Kurze Zeit spaeter spurten wir zwei ueber die Wiese, um unseren geliebten Kindern noch Tschuess zu sagen. Als wir am Auto ankommen, bietet sich uns ein interessantes Bild. Taschen und Plastiktueten sind an die Hauswand gestapelt, zusammen mit Teddybaeren, und anderem Krimskrams. MJ, Resty und John Paul sind schon da. Ihr Gepaeck geschultert stehen sie da und ihr Blick scheint Anklage zu erheben, gegen jene, die noch immer nicht eingetroffen sind. Sie sind bereit, sie wollen gehen. Am liebsten gestern. Dann teilt sich die herumwuselnde Kinderschar und ein Bild des Jammers bietet sich. JB wird von Stella, einer unserer "Ersatzmamies" durch das Meer an kleinen Maedchen getragen. Er schluchzt und jammert und die Traenen laufen ihm herab, was sein kaputtes Auge noch roter erscheinen laesst. So wird er ins Auto gepackt und bleibt leise weinend sitzen. Der naechste im Bunde ist Jeymar, unser kleiner Wilder, der schon fuenf Jahre in der Preschool rumgammelt und keinerlei Ambitionen hat, jemals etwas anderes zu tun, als die Tomaten in unserem Gemuesegarten abzureissen, wenn sie noch gruen sind. Obwohl er wahnsinnig kreativ ist und wunderschoen zeichnet und malt. Sie werden im Van verstaut und ihr Gepaeck mit ihnen. Pro Kind ist jeweils eine Mama dabei, die mitfaehrt, um ihnen zu helfen. Den Rueckweg werden sie allein antreten, die Mamies, und das wissen sie ganz genau.
Die Stimmung schwankt zwischen Vorfreude, Spannung, Traurigkeit und blanker Angst.
Die anderen Kinder stehen um die Heckklappe des Vans herum und sehen hinein. Ein paar der frechen Maedels machen das Weinen von JB nach. Wir treten an die Oeffnung, Miriam und ich, und sehen sie nocheinmal an. Unsere Jungs. Wir druecken jedem drei Murmeln in die kleine, verschwitzte Hand. Sie werden sie brauchen, das wissen wir. Jedes Mal, wenn wir dort sind, bekommen wir ein bisschen mehr von der Rangordnung,  den Gewohnheiten und dem komplizierten Geflecht aus ungeschriebenen Regeln mit, die dort herrschen. Die kleinen und mittleren Jungs haben eben dieses Glasmurmelspiel, bei dem sie, aehnlich wie beim Boccia um die getroffenen Murmeln spielen. Die mittleren Jungs messen sich im Daumencatchen und die grossen Spielen Schach. Unser kleines Abschiesgeschenk, mit dem sie jetzt vielleicht noch nicht so viel anzufangen wissen, ist eine Art Startkapital. Damit sie nicht von Null anfangen muessen.
MJ sieht mich einen Moment an, als ich ihm die Murmel geben will, dann erhellt sich sein kluges Gesicht und er greift zu. Er weiss, wozu sie gut sind. Und ich bin sicher, er wird Murmelkoenig.
John Paul werden sie weitergereicht und er, ganz in seiner Beobachterposition, steckt sie erstmal ein. Vielleicht erschliesst sich ihm deren Sinn ja spaeter noch, so scheint er zu denken.
Resty ist so von seiner ueberschwaenglichen Vorfreude gefesselt, dass er sie einfach beilaeufig einsteckt. Er muss jetzt losmachen, er muss jetzt gehen, egal, was kommt.
JB haelt sich an den glaenzenden Kugeln fest, wie an einem Schatz. Er wird bestimmt ein guter Spieler. Jeymar versucht sich gleich alle zu krallen und MJ weist ihn zurecht. Er wird nochmal anecken dort drueben, wo es eine feste Rangfolge gibt, die kein Pardon kennt.

Ploetzlich hoert man ein erneutes Weinen und Genelou, eine unserer groessten Maedchen, traegt einen heulenden Gino durch die Menge. Er strampelt und weint und schreit und sein Gesicht sieht so aus, als taete er das nicht erst seit ein paar Minuten. Mein lieber Gino, der so oft ein Sonnenstrahl ist, der so schlau und so unmotiviert ist, der der beste in meiner Baking Class ist und so herzerwaermend grinsen kann...er soll jetzt gehen? Einfach so? Es ist ein trauriger Abend.
Aber ich freue mich, fuer die, die sich freuen. Und hoffe, dass sie meine Murmeln weise nutzen.

Mittwoch, 15. April 2015

JB

Es ist dunkel geworden.
Die Sterne stehen am Himmel und funkeln leise vor sich hin.
Noch immer ist die Luft schwuehl und drueckend heiss, und als ich aus meinem Haeuschen trete, habe ich fast den Eindruck, ich muesste anfangen zu rudern und durch sie hindurch schwimmen, um mich vorwaerts bewegen zu koennen.
Einen Moment stehe ich vor den zwei grossen Palmen vor unserer Tuer und sehe hinueber zu den Fahnenstangen, an denen die Philippinische Flagge in den Nachthimmel ragt.
Ploetzlich hoere ich einen schwachen Ruf und entdecke einige Meter von mir entfernt einen kleinen Jungen auf dem Gehweg hocken. "Komm mal bitte her, Teacher Melanie!", ruft er mir auf Tagalog zu und ich bin stolz darauf, dass ich das ueberhaupt verstehe; die Arbeit in der Kueche und das Vorlesen fuer meine Kleinen haben mir in den letzten Tagen einen riesigen Sprachenschub beschert.
"Was ist los, JB?", frage ich ihn.

JB deutet schon auf den ueberall praesenten Abkuerzungswahn der Filipinos hin. Von ROS, KMMC, MF, SO, und VOH habe ich schon gelernt, Menschen werden hier Gin genannt, wenn sie Gino heissen, Han, wenn sie Hannah schreiben und MJ, wenn in ihren Akten eigentlich Marc Julius steht. So ist das auch mit JB, der eigentlich John Bobby heisst.
Seit einem Unfall im letzten Herbst, wandert er von Arzt zu Arzt in der Hoffnung, sein Auge, in das er einen Stock bekommen hat, zu retten. Mal sieht es schlechter aus, mal besser. Mal heisst es, der Augendruck laesst nach und es koennte sein, dass seine Augen einfach herausfallen, wie geschrumpeltes Fallobst, mal heisst es, er kann gesund werden. Doch es ist schwer mit einem Neunjaehrigen von Krankenhaus zu Krankenhaus zu ziehen und bei jedem Facharzt Kooperation und Mithilfe zu erwarten, noch dazu, wenn er Schmerzen hat. Grosse Schmerzen.
Und doch ist er ein unglaublicher kleiner Knopf. Er ist unser schnellster Fahrradfahrer und pest ueber unseren Campus, ohne Angst vor der naechsten Palme, der einbrechenden Dunkelheit oder den Unebenheiten im Weg. Die anderen Jungs rennen vergeblich hinter seinem Drahtesel her, wenn JB in die Pedale tritt. Um seine ohnehin angegriffenen Augen zu schuetzen, hat er meist eine Brille dabei. Eine Schwimmbrille, eine Chemielabor-experimentier-schutzbrille, oder eine Sonnenbrille. Und so heitzt er dann, die Schwimmbrille im Gesicht, wie Quacks der Bruchpilot auf seinem Fahrrad durch die Gegend- allen Umstaenden zum Trotz. Und heute abend will er mir etwas ganz Besonderes zeigen.

Als ich naeher herankomme, sehe ich, dass er etwas in der Hand haelt. "Eine Kroete", denke ich, denn es ist schon fast ein Sport hier fuer unsere kleinen Jungs Geckos, Eidechsen, Kroeten und mittlerweile sogar kleine Voegel zu fangen und in Kaefigen, Boxen, Schachteln und Eimern zu halten, bis diese entweder verrecken oder sie sie freilassen. Innerlich auf den Ekel eingestellt, eine Kroete zu sehen, die groesser ist als meine ausgestreckte Hand, sehe ich genauer hin. Und bin ueberrascht.
Es ist keine Kroete. Es ist eine kleine Schildkroete. Wunderschoen schwarz und glatt glaenzt sie. Sie sieht aus, wie eine Miniaturmeeresschildkroete. JB dreht und wendet sie, um sie mir im schwachen Laternenlicht zu zeigen. Er setzt sie behutsam auf den Boden und sie landet auf dem Ruecken, stemmt ihren Kopf ins Pflaster und dreht sich gekonnt wieder in die richtige Position zurueck. Einen kleinen Plastiktopf mit Wasser hat er ihr mitgebracht und ich frage mich, woher er dieses Tier hat. Aus dem Fischteich? Aus dem Pool? Aus dem ekligen Tuempel in der Mitte unseres Campuses? Das wohl am ehesten. Was er damit tun soll, fragt er mich. Ich weiss es nicht. In den Eimer oder auf den Boden? Er solle sie zurueckbringen, sage ich, nachdem ich sie ausgiebig bewundert habe. Also laesst er sie in den Topf plumpsen und macht sich ganz vorsichtig auf den Weg zum Teich. Der Topf ist aber zu klein fuer die Schildkroete und so steht sie aufrecht darin und versucht, herauszukriechen. Jedes Mal, wenn sie droht, ueber den Rand zu klettern, stellt JB den Topf sofort auf den Boden, damit sie nicht von seiner Schulter, auf der er ihn traegt, aufs Pflaster faellt. Dann robbt sie ein, zwei Meter voran, woraufhin er sie wieder einsammelt und ein paar Schritte in dem Eimerchen vorantraegt. Dann setzt er ihn wieder ab, weil sie wieder versucht zu entkommen und so weiter.
Belustigt sehe ich mir das Schauspiel an und schlendere langsam weiter in Richtung Abendessen.
Er ist ein guter Tierpfleger.
Und ich beeindruckt und ueberwaeltigt, so etwas Einfaches und doch so Aussergewoehnliches gesehen zu haben.

Mittwoch, 1. April 2015

Sein oder nicht sein

"Ikaw ang tunay na Diyos...",
"Ito ang lapis mo?",
"Ako si ang kapatid ni Angela",...

Ich lerne. Ich lerne immer mal wieder. Und dann wieder nicht mehr.
Ich verstehe. Ich verstehe immer mehr. Und dann wieder überhaupt nichts.
Ich treffe Menschen, die mich so faszinieren, dass ich mit ihnen sprechen will, in egal welcher Sprache. Menschen, die mich motivieren, zu lernen, ohne ein Wort zu sagen. Und dann sehe ich Konjugationstabellen und endlose Wörter, deren einzige Vokale "as" sind und muss mein Buch leider wieder weglegen.

Die Kinder lehren mich am meisten. Jedes Mal, wenn ich versuche, meine Tagalog-Studien auf eigene Faust weiter zu führen, endet das meist im Nichts. Ich habe keinen Bezug zum Wort, kein Beispiel, wenn ich es nur im Buch sehe. Aber wenn ich mit einem Kind spreche, oder ihm zuhöre, sehe ich, wie Leben in diese Sprache kommt. Wie die Worte plötzlich Sinn ergeben, wie sie sich zusammenfügen, wie ein Kokosfaserkorb, unter den Händen der Korbmacherin. Ich lerne durch Lieder, durch lustige Momente des Missverstehens mit den Kindern. Zu fast jedem Wort kann ich mittlerweile eine Geschichte erzählen.

Dass mich "tunay" immer an Thunfisch erinnert hat, bis ich herausgefunden habe, dass es "echt" heißt, dass ich "talaga" fälschlicherweise im Wörterbuch als "dalaga" nachgeschlagen hatte, und überrascht war, wie oft die Filipinos das Wort "Junggesellin" verwenden, bis ich zu meiner Schande feststellen musste, dass es einfach nur "wirklich" heißt.
Von Kathrina weiß ich "dito" (hier) und "doon" (dort) zu unterscheiden, Rico hat mich "intindihan" (verstehen) gelehrt, von Romeo habe ich gelernt, dass "rin" einfach nur "auch" bedeutet und von Jessa habe ich eine Lektion in Tagalogtiernamen erhalten, sodass ich von der Ameise über die Ziege bis hin zum Elefanten fast alles benennen kann.

Grammatik ist dann noch so ein ganz eigenes Kapitel. Ein extremer Mangel an Verben macht es für uns schwer, zu verstehen, was sich auf wen bezieht. Ein Satz wie "Ako si Melanie" (Ich, die Melanie) ist als Antwort auf die Frage "Anong pangalan mo?" (Wie dein Name?) angebracht. Auch ohne sein. Überhaupt ohne Verb. Dafür gibt es eine Fülle an Pronomen und unübersetzbaren, aber lebensnotwendigen Partikeln. Wörtchen, die eine Frage indizieren, die Respekt ausdrücken, die Beziehungen zwischen Personalpronomen anzeigen, die verstärken, die klar machen, wer angesprochen ist... die Liste ist endlos und glücklicherweise sind sie natürlich alle kurz, meist nur zusammengesetzt aus zwei Buchstaben, was das Lernen natürlich ungemein vereinfacht...und die Verwechslungsgefahr minimiert. Nicht.

Und doch verstehe ich Vieles. Der Rest kommt durch Logik. Und Hände und Füsse.
Eigentlich ist Sprachen lernen gar nicht schwer. Solange man Kinder hat.

Oh Augenblick verweile doch, du bist so schön

"Ako si Hannah Montana", plappert meine kleine Hannah, die der- trotz meiner Nachlässigkeit- treue Leser bereits aus vorherigen Beiträgen kennt, in mein Aufnahmegerät. Selbiges habe ich von meiner besten Freundin aus Deutschland mitbekommen, damit ich die Melodie meines Lebens einfangen kann und gleichzeitig ihre Stimme immer dabei habe.

Heute ist Graduation Day. Also Schulabschluss. Es ist unglaublich heiß, ich habe das Gefühl ich zerfließe in meiner Tracht und unsere Kantine, die wir zum Festsaal umdekoriert haben, ist mit 250 Leuten vollgestopft. Ein paar fleißige Ventilatoren versuchen, die Klebrigkeit von uns zu nehmen, aber als sich die Zeremonie immer weiter hinzieht, und die Drei-Stunden-Marke überschritten ist, wird es doch anstrengend. Beinahe unerträglich, habe ich das Programm doch schon ca. 7 Mal gesehen. Unsere Mädels und Jungs waren in der letzten Woche fast täglich mit Proben beschäftigt. Vom feierlichen Einzug, untermalt von den Klängen Edward Elgars "Pomp and Circumstance", über das einzelne nach vorn rufen der Absolventen der Preschool und der Grundschule, bis hin zu den bunt gemischten Special Presentations, die von Liedern, über Anspiele bis hin zu traditionellen und modernen Tänzen reichten, haben wir alles schon gesehen. Mehrmals.

Ich nehme Lieder auf, Namen, Stimmen, Momente, versuchen zu beschreiben, was ich fühle, wenn 250 Menschen "Dakila ka o Dyios" singen, was ich fühle, wenn meine Kinder, schön frisiert und gepudert in neuen Filipinianas stolz ihre Medaillen und Auszeichnungen entgegen nehmen. Ich bemühe mich, Menschen zu beschreiben, die ich sehe, die besondere Atmosphäre einzufangen, die Farben der Philippinischen Flagge, die Gesichtszüge der Menschen, die ich so ins Herz geschlossen habe, die caramellfarbene Haut, die schwitzenden Kinderhälse, das Meer von schwarzen Haaren, die Hitze, die Spannung in der Luft, die Spannung in meiner Seele.

4 Monate noch.

Dann ist alles nur noch ein Traum. Eine blasse Erinnerung. Ich bekomme schon Geschenke, zum Andenken, wie es heißt und doch ist es noch eine solch lange Zeit. Ich will nicht daran denken zu gehen. Ich will jetzt sein und ich will hier sein. Die Kinder genießen, wie sie herumwuseln, bunt und aufgeregt und wunderschön, will die Freunde, die ich gewonnen habe nicht verlassen, will noch so viel, wie möglich in diese Zeit packen, in die niemals die ganze Fülle einer Freundschaft passt. Ich will den Moment anhalten, will in diesem warmen Menschenmeer versinken, in dem Glück, das man überall spürt; in der Aufregung, der Begeisterung über das abgeschlossene Schuljahr. Ich will diese große Familie, die ich durch schlimme und gute Zeiten gewonnen habe, nicht zurücklassen.
Jetzt nicht. Ich will sagen: "Oh Augenblick verweile doch, du bist so schön!"

Donnerstag, 12. Februar 2015

Hannah

Ich liebe es, wie sie lacht; ich liebe es, wie sie grinst; ich liebe es, wie sie den Kopf herumwirft und mich aus weit aufgerissenen schwarzen Auge anlacht.
Ich liebe die dunklen Punkte auf ihrem rechten Wangenknochen, die die sonst so glatte und gleichmäßige Haut, wie die glänzende Oberfläche eines Wales wirken lassen.
Ich liebe die ledrigen Hände, die so fest und trocken wie die einer alten Frau sind.
Ich liebe die plötzlichen Bewegungen, die sie so wild und spannungsgeladen wirken lassen, die gerade Haltung und die rauchige Flüsterstimme. Und am allermeisten liebe ich ihre Haare. Ihre ungefähr sieben Zentimeter kurzen Haare, die morgens so kunstvoll mit kleinen bunten Gummibändern liebevoll von einer Mami gebändigt wurden und sich im Laufe des Tages in einen struppigen, unordentlich in alle Richtungen abstehenden Strubbelkopf auflösen.
Und genau dieser Salat ist so unwiderstehlich süß. Nachmittags kann man die dünnen Haare dann mit den Fingern zu allen möglichen Figuren, Formationen und Frisuren kämmen; sie aufstellen und ganz glatt ziehen, sie zur Pusteblume und zum Irokesen modellieren.
Manchmal sieht sie damit aus, wie ein Model, machmal, wie unter den Rasenmäher gekommen. Aber immer ist es bezaubernd.
Und ich liebe dieses Kind einfach, das beschließt, nicht in die Schule zu gehen, wenn ich mal nicht im Unterricht bin, weil ich Büroarbeit machen muss, weil es dann ja, wie sie meint, sowieso nichts bringt, wenn ich nicht da bin.
Aber ich hasse es, wenn sie weint. Dieses heisere Schreien, das sich wie ein krampfartiges immer wiederkehrendes Rufen anhört. Und sie weint viel.
Wenn sie mal wieder, wie fast jeden Tag von unserer Hauptlehrerin zusammengefaltet wurde, weil sie einfach einen größeren Freiheits-und Bewegungsdrang hat als die anderen- scheinbar wie ihre Haare.
Und ich stehe jeden Tag auf, damit sie nicht weint. Damit sie zur Schule geht. Damit sie lebt.
Und mit ihr ich.

Patricia

"Jesus is sleeping on your couch!", schießt es mit durch den Kopf.
Und du liegst rum und liest! Was für ein Versäumnis!
Nachdem ich die letzte Nacht in schmerzhafter Enge zwischen Wand und Knien und Ellenbogen unsrer schlafenden Lungenentzündungspatientin (die seit zwei Wochen das gegenüber liegende Zimmer zur Quarantäne bewohnt) eingekeilt verbracht hatte, ( und am Morgen mit halb abgestorbenem Ohr und rundum verspannten Schultern gestartet war, haben wir heute abend ausgehandelt, dass sie auf unserem improvisierten Gästesofa nächtigen darf.
Aus Angst vor der Einsamkeit, vor der Dunkelheit, vor den Geräuschen der Nacht, hatte sie mich gestern ganz schüchtern gefragt, ob ich bei ihr schlafen würde und zum ersten Mal in ihrer Quatantänezeit schlief Patricia im Dunkeln- nachdem ich sämtliche fünf Lichter ausgeknipst hatte.
Und nach der unangenehmen Nacht und ihrer erneuten Anfrage nach Anti-Grusel-Gesellschaft, haben wir kurzerhand beschlossen, sie bis zum Wochenende auf unserer Couch unterzubringen.
Nachdem sie alles inspiziert, wie selbstverständlich angefasst, untersucht, kommentiert und benutzt hat, was in unserer Wohnung rumsteht, -liegt und -hängt, mein Handtuch benutzte, nachdem sie wie zu Hause gemütlich in unser Bad spazierte und sich die Hände wusch, meinen Block durchblätterte und willkürlich Fragen zu meiner Fotowand stellte, nachdem sie mir ungefragt beim Wäsche aufhängen geholfen hat und zu jedem noch so kleinen Kleidungsstück einen schlauen Spruch hatte, ist sie nun endlich eingeschlafen.
Und ich lese. Und plötzlich, nach all den Nerven, die sie mich nach einem anstrengenden Tag noch gekostet hat, kommt mir dieser Satz, denn:
"Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan!"